The
Driving
Factor

EN DE

Tour Erzgebirge

Taube Erde

Zum Akkumulations-Paradox. Oder, die Verwertungszyklen des Abraums in einer gewöhnlichen Bergbauregion. Logbook einer Tour.

Schauplatz: Über- und unterirdische Landschaften, die von geologischen und anthropogenen Eingriffen erzählen. Landschaften, die durch die Wechselwirkungen von Menschen und Maschinen, Schneeschmelzen und Hochwasser, Birken, Pilze und Salweiden, stetig verwandelt werden. Zuweilen gespenstisch, jedenfalls durchlöchert, bleiben sie ambivalent. In naher Zukunft soll in Zinnwald Lithium gewonnen werden. Keine 50 km entfernt befindet sich eine Hochburg des wissenschaftlichen Bergbaus. Seit dem 18. Jahrhundert wird an der Bergakademie Freiberg studiert, wie Bergbau effizienter, langanhaltender, gewinnbringender gemacht werden kann. Von hier sind Visionäre und künftige Zinnbaronen gestartet. Brachten die neuesten Verfahren in die weite Welt, tauschten sich mit Kollegen in Trondheim oder Potosí aus. Sie schöpften unsägliche Gewinne ab.

Lithium: jahrhundertelang kaum beachtetes Nebenprodukt des Abbaus von Silber, Zinn, Wolfram, zieht heute ausgerechnet das lila glitzernde Erz eine Investorengruppe nach der anderen ins Erzgebirge an. Dabei ist das Fördern unter Tage viel aufwendiger und teurer als—etwa—in den Salaren Boliviens, Chiles, oder Argentiniens. Neue Technologien und gute Arbeitsbedingungen werden die Unternehmung fairer, sicherer und überdies, auch ökologisch unbedenklich machen, heißt es.

Es sprechen: Interstellare Lebensformen, Ex-Bergleute, Historiker*innen, Kunst- und Kulturmachende, Umweltaktivist*innen. Echos von unter Tage und vom Unterbewusstsein. Energiewende. Deutschland ist dran, ab jetzt auch mit eigenen Rohstoffen. Die eigenen Rohstoffe. Wann wird die Utopie der Lithium-Batterie, Spiegelbild des westlichen Anthropozentrismus, platzen?

Es treten hervor: Wälder, deren Böden reich an Erzen waren und die irgendwann baumlos zurückblieben; sich überlappende Temporalitäten—mal die Zyklen der Jahreszeiten, mal die Erdzeitalter; mal die Halbwertszeit der Sulfate (eine von vielen Hinterlassenschaften der Agrarindustrie), mal die Reichweite der Kamera-Akkus. Mal, immer wieder, die drei Jahrzehnte von Deutschlands Wiedervereinigung. Ist es dieser temporalen Überlappung geschuldet, dass das Erzgebirge so schwer greifbar wirkt? Andere Male scheint das Schwindelgefühl eher von der Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit des Untergrunds, sowie der Topografie, herzurühren. Stollen, Schächte, Tunnel, Höhlen, Gräben: Worauf laufen wir gerade? Sind die Hügel wahr? Oder sind das Halden, aus dem Abraum europaweit verstreuter Förderstellen zusammengesetzt? Schwammen in diesem, diesem, oder diesem See Partikel „tauben“ Gesteins? Wie toxisch ist das Wasser?

Foreplay

Trotz der avancierten Technologie sind die Scans der knapp vier Millionen Lichtjahre entfernten Region nicht gut aufgelöst. Glitches in der Übertragung ermöglichen keine vollständige Betrachtung. Die Fläche ist, letztendlich, winzig. Transkript—sinngemäß für Erdlinge übersetzt—der dabei stattfindenden Unterhaltung zwischen 2* Forschenden [Anm. d. Übers: Diese interstellare Community verwendet keine Namen und Singularpronomen sind nicht vorhanden, da schon lange geklärt ist, dass Leben auf Zusammenkünften von vielen, oder Holobionten, beruht; folgend wird dennoch, des Verständnisses wegen, von F 1 und F 2 gesprochen]:

F 1: Gut möglich, dass sie über Druck- oder Durchflussänderungen kommunizieren: Falls es sich um ein ununterbrochenes hydraulisches Netzwerk handelt, wie es scheint, wäre eine plötzliche Druckänderung an einer Stelle überall schnell zu spüren... die Hypothese der Stoffwechsel-Impulse würden wir trotzdem noch nicht gänzlich ausschließen, Hinweise auf regelmäßige metabolische Aktivitäten gibt es zur Genüge—

F 2: Ja… und es ist weiterhin zu erörtern, ob das gesamte System nicht von elektrischen Impulsen reguliert wird. Dies ist oft der Fall auf Planet 3, obwohl die Elektrizität nicht von der Atmosphäre geerntet sondern mühsam generiert werden muss.1

F 1: Richtig. Dann gibt es diese jüngeren Wesen, die über Schrift kommunizieren… die produzieren fast in Übermaß Elektrizität, die sie dann irgendwie speichern müssen—

F 2: Eine kümmerliche Gruppe, großenteils um geschlossenen vertikalen Systemen herum organisiert. Daher vielleicht ihre geminderte Empfindlichkeit: Für die meisten nicht mechanischen Impulse scheinen sie taub.

F 1: Sie müssen sich mit merkwürdigen Prothesen und Erweiterungen helfen, bekommen die grundlegendsten Prinzipien der Symbiose nicht hin.

F 2: Es handelt sich im Übrigen um merkwürdige Lebewesen… Die Mehrheit ist schlicht damit befasst, längst normalisierte Krisen auszuhalten. Einige indessen experimentieren mit Raketen, die auf Planet 4 landen sollten, vermutlich um ihn zu kolonisieren.… sie haben ja in kürzester Zeit mehrere Systeme auf diesem Planeten schwer beeinträchtigt—

F 1: Das komplette Gegenstück zu diesen hier. Wie lange die schon ko-existieren, ist schwer auszurechnen. Wie sie Flächen abdecken und dabei in Verbindung bleiben, Verbindungen für andere herstellen, und mit ihnen Nahrung tauschen, ist einfach genial. Das kommt sehr schön zur Geltung hier, in der Region, in die wir gerade reinzoomen. Die Scans sind zwar nicht eindeutig aber alles deutet darauf hin, dass sie ein von ebensolchen kümmerlichen Lebewesen kontaminiertes Substrat binnen 30-40 Drehungen um den Großen Stern komplett neu herstellen konnten… es stimmt schon, sie bringen eine Regel des Überlebens im gesamten Sternsystem zum Vorschein: Durch Verbindungen zwischen ver- und zerstreuten, kontinuierlichen aber offenen Zellen, Räume zu gestalten und die Ko-Existenz vieler zu unterstützen—

F 2: Da geht es um weit mehr als um die Bedingungen einer gemeinschaftlichen Ko-Existenz. Dass es elektrische Signalübertragungen erlauben, Nachrichten über Nahrungsquellen, lokale Bedingungen, Systemschäden, die Anwesenheit anderer Systeme in naher Umgebung, und-und-und—zu senden… also, falls auf diesem Planeten Lebensformen bestehen, die sich auf elektrische Impulse stützen und ohne hydraulische oder metabolische Funktionen auskommen, dann… dann wäre es denkbar, dass sie sich beispielsweise über Phototrophie auch auf Planet 2 unterhalten könnten… dass sie dort mit der Zeit ein Leben wieder möglich machen könnten. Die interessantesten Varianten können Photosynthese betreiben—

F 1: Die Temperaturen auf Planet 2 werden, mindestens bis das Erlöschen des Großen Sterns einsetzt, doch konstant bleiben. Für solche Temperaturen sind die von Planet 3 schlicht nicht geschaffen. Und, wir auch nicht. Es ist eine leidige Diskussion…

F 1 teilen sich vorsichtig mit. Die Sehnsucht nach dem verlorenen Zuhause, Venus—der zweite Planet im Sonnensystem, der vom unaufhaltsamen Verdampfen der Ozeane und dem extremen Treibhauseffekt nach dem Erstarken der Sonne, unbewohnbar gemacht wurde—stürzt F 2 regelmäßig in die Verzweiflung, gefolgt von langen Phasen der Einkapselung. Diejenigen, die wie F 1 erst im Schiff hinzugekommen sind, haben nur abstrakte Vorstellungen über die Ko-Existenz auf dem verlassenen Planeten, während sich die Erinnerungen derjenigen, die einmal dort lebten, zunehmend mit Mythen verweben. So wird F 2‘s Idee, der zu heiß gewordene Planet 2 könnte wieder belebt werden, kaum mehr verfolgt; alle Bemühungen richten sich mittlerweile der Erforschung von Bedingungen für ein interplanetares Kohabitieren. Die Intra-Wirkungen von Pilzen, Flechten und Moose auf Planet 3, der Erde, sind in diesem Zusammenhang von großem Interesse: Viele erkennen in ihnen lebensunterstützende Systeme, die mit den eigenen verwandt sind. #Cohabitation #Feminism David Griffiths fragt sich, was Queer Theory von Flechten lernen könnte

F 2: Schon unsere Beobachtungen auf Planet 3 widerlegen die Behauptung! Diese Varianten können absolute Extreme überstehen, ob hohe Strahlen oder Flüssigkeitsmangel. Sie versetzen sich in einen Zustand des Scheintods und, wenn ihr Gewebe dehydriert ist, richten ihnen extreme Temperaturwechsel und sogar die freien Radikale, die ja die gefährlichsten Folgen der kosmischen Strahlung sind, keinen großen Schaden an.2 Außerdem können sie, wie gesagt, über einen ihrer zwei Symbionten Photosynthese betreiben. Das sind Bündel möglichen Lebens! Doch statt in Symbiose mit ihnen zu treten, scannen wir das Sternsystem, um nach den fortschrittlichsten Kommunikationsformen und „Synergien“ für künftiges „nachbarschaftliches Leben zwischen den Sternen“ zu suchen. Unfassbar!!

F 1: Es ist nicht ganz so... die Community hat sich lange mit diesen Fragen beschäftigt und unabhängig von den geringen Aussichten auf Erfolg beschlossen, dass es eher in Einklang mit unserer Ethik ist, zwischen den Sternen und Planeten zu leben, also, diese zu verbinden ohne sie zu besetzen—

F 2: Unsere interstellare Mobilität hat uns kommunikativer gemacht, aber wir sind nicht glücklich. Für die, die erst nach der großen Katastrophe gekeimt sind, wie ihr, mag die Gravitationskraft eine mechanische Operation des Schiffes sein, allerdings ist das Gefühl, an etwas gebunden zu sein… und dadurch mit allen, aber wirklich allen anderen verbunden… das Gefühl ist einfach wunderschön. Es ist ein Gefühl, das tröstet und Halt gibt. Daher können wir nicht aufhören, zu hoffen und daran zu arbeiten, dass Leben auf unserem Planeten wieder stattfinden kann: Selbst wenn wir nach der Sympoiesis nicht mehr sein sollten, wie wir bisher waren. Wir sind nicht, und waren noch nie, geschlossen, fertig. #Cohabitation Fred Moten und Stefano Harney zur Schönheit (und Ehrlichkeit) der Unvollständigkeit

1. Von Altenberg bis Zinnwald

Skizze zur topographischen Lage des Bergbaugebietes von Altenberg - Zinnwald.
Quelle und Credit: www.unbekannter-bergbau.de

T 1: Erzgebirge, Zinnwald, Muldenhütten. Aschergraben,3 Quergraben,4 Grenzgraben. Schon an den Toponymen wird klar, welche Rolle der Bergbau bei der Produktion dieser Landschaft spielte…

T 5: Auch der Name der Stadt Freiberg geht darauf zurück: Damals wurde ein Berg als frei für jeden erklärt, der dort Silber gewinnen wollte.

T 2: Von dem Berg wiederum, aus dem das Zinn in Altenberg bis 1991 gefördert wurde, ist lange schon kaum mehr etwas übrig. Schaut rechts, hier ist die Pinge: von der Straße aus gesehen eine übergroße, leicht gewölbte rote Wand, vom Europark aus eine Schramme in der Landschaft—und auf der Karte ein Krater!

T 3: Ein Krater, der über einem noch tiefer liegenden Labyrinth aus Tunneln, Stollen, Schächten, sitzt und davon teilweise umgeben ist...

T 5: Die Pinge war regelrecht durchlöchert, Menschen und zum Teil ganze Zechen fielen ihr durch das 16., 17. und 18. Jahrhundert hindurch immer wieder zum Opfer. Doch schien dies die Fördertätigkeit eher zu bestärken. Selbst die immensen Schäden des historisch größten Bruchs, 1620, hatten keinen Einfluss auf die Extraktion. Mit der Gründung der Gewerkschaft wurde letztere im Gegenteil immer professioneller.

T 1: Die Gewerkschaft verhandelte ja die Förder- und Abgabebedingungen mit Sachsens Kurfürsten und verwaltete, neben dem Bergwerk selbst, die Pochwerke, in denen das gewonnene mineralhaltige Gestein zerkleinert wurde, das Wassersystem, welches diesen Wasser zuführte—also die zwei Kunstteiche, den Aschergraben und das Kunstrad—sowie die umliegenden Wälder, aus denen das Holz zum Feuersetzen und zur Befestigung der Gruben geliefert wurde, zumindest bis diese ausgeschöpft waren.

T 5: Es war die Gewerkschaft, die im 19. Jahrhundert den Bau des Römerschachts veranlasste, über den das Gestein bis zur Stelle des heutigen Bergbaumuseums transportiert wurde.

T 3: Dass die komplette Landschaft vereinnahmt war, sollte klar sein: Schon vor seiner kapitalistischen Hochskalierung war der Bergbau kein Wirtschaftszweig sondern ein ausgefeiltes ökonomisches System. Die Erze wurden nicht einfach gewonnen und wegtransportiert, wie in Potosí und anderen kolonialen Protektoraten, sondern regional weiterverarbeitet. Die gesamte Bevölkerung war in dieses System integriert. #Extraction #Landscape #Renaturing Lucy R. Lippards "Undermining, a book full of dirt"

T 4: Ja… mich hat es sehr beeindruckt, wie viele anderen Berufe neben dem „Bergmann“ mit der Erzförderung zusammenhingen. Von den Holzfällern, Zimmerleuten und Maurern, über die Träger*innen und Hütten-Arbeiter*innen—oft Frauen und Kinder—die das Zinn wuschen, bis hin zu den Schmieden, Glasbläser*innen und Porzellanmacher*innen…

T 1: Das heutige Verständnis vom Bergbau ist ebenso durch Überrepräsentation wie durch Unterrepräsentation verstellt. Wir sind es gewohnt, an geschäftige Bergmänner zu denken, aber Bergbau bedeutet überhaupt kein kontinuierliches Ausgraben, Schöpfen und Ablagern. Insbesondere vor dem Einsatz von Maschinen erforderte die Förderung von unter Tage sehr lange Vorbereitungsphasen—40 Jahre lang einzig an einem Stollen zu arbeiten, war keine untypische Bergmannsbiografie. Schlicht unterrepräsentiert sind andererseits die ökologischen und ökonomischen Umfelder, zu denen Frauen, Kinder, Migrant*innen, Zwangsarbeiter*innen und selbstverständlich, die Natur.

T 5: Die Reife dieses Wirtschaftssystems und seine prägende Rolle für Territorium und Gesellschaft waren schlussendlich das Hauptargument für die Ernennung der „Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří“ zum UNESCO-Weltkulturerbe.5 Deren Besonderheit rührt weder von spezifischen landschaftlichen Qualitäten, der Wasserwirtschaft, einzelnen Bergstätten oder Berghütten, noch vom feinen Handwerk oder den Städten, die im Zusammenhang mit dem sächsischen Bergbau florierten, her: Es geht um den Gesamtkomplex.

T 2: Hat die positive Reaktion der Bevölkerung auf die in Aussicht gestellte Wiederaufnahme des Bergbaus in Zinnwald zum Zweck der Lithiumförderung mit dieser „Gesamtheit“ zu tun? Bisher dachte ich einfach, die Menschen werden von der Idee verzaubert, dass Lithium für „die gute Sache“, die Energiewende, benötigt wird—

T 6: Und damit für die reibungslose Produktion von Dingen, ohne die wir im Alltag nicht mehr auskommen würden: Handys, Laptops, Pacemakers, e-Scooters, etc.

T 2: ...aber hier, wo Generationen vom Bergbau gelebt haben und die Wiedervereinigung dessen abruptes Ende—oder sollte ich sagen: seine letzte vorläufige Unterbrechung?—bedeutet hat, muss ich mich gerade fragen... welche tieferen Fantasien ruft das Versprechen des Rohstoffabbaus wach? Kann es sein, dass sich die Menschen nicht wirklich darum scheren, was extrahiert wird und wofür, aber mit dem Bergbau eine soziale Einbettung, einen Zusammenhang mit anderen assoziieren, der mit Auswanderung, Privatisierung, Treuhand, demographischer Schrumpfung und Austeritätspolitik weggebrochen ist? #Extraction #“Green” future #Sustainability Zur Reichweitenangst, permanenten Begleiterin der Nutzer*innen von Batterien und Akkus

2. Wanderung durch das Bielatal

T 7: Mich treiben die Stop-and-Goes des Bergbaus um—die wiederkehrenden Zyklen von Auf- und Abwertung, die ihn prägen. Es kommt in der Extraktionsbranche ständig zu Krisen, sowohl der Nachfrage als auch der Erschöpfung—

T 6: Um nicht von den Stopps zu sprechen, die durch logistische und infrastrukturelle Engpässe bedingt sind. Mal fehlt Holz, mal Wasser. Mal vielleicht auch Arbeitskraft. Mal sinkt die Nachfrage, ob wegen irgendeines Kriegs oder seines Endes, ob wegen Zollkonflikten oder der Konkurrenz durch billigere Import-Erze…

T 7: Bis irgendwann ein neuer Aufwertungszyklus beginnt, dessen Dauer nicht absehbar ist. Hier in Zinnwald war es im Fall des Wolframs so. Wolfram war in der Metallbearbeitung und für die Herstellung von Glühfäden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachgefragt, später wohl auch für die Kriegsindustrie. Da seine Nützlichkeit festgestellt wurde, machten sich schnell alle dran, den aus der Zinngewinnung zurückgelassenen Abraum von Neuem auszugraben, um das in Mode gekommene Erz zu gewinnen.

T 8: ...nur lagerte dieser Abraum, oder „taubes“ Gestein, nicht immer wie in der Reichtroster Weitung vom Zinnwalder Bergwerk in der ursprünglichen Förderstelle. Oft war er in Halden vergraben, die überall in der Landschaft verteilt waren. So wurden eben die Halden nachgelesen.

T 9: Diese alte Praxis rückt heutzutage offenbar wieder in den Blick; die Landesregierung jedenfalls will künftig Nachlesen in mehreren Halden der Region durchführen. Es geht ums Lithium, aber auch um andere Erzpartikel im einstigen Abraum, die dank moderner Technologien nun extrahiert werden können—

T 7: Auf Kosten von Landschaften, in denen der Mensch jahrhundertelang herumgewühlt hat. Der Ausdruck „Run auf Rohstoffe“ nimmt beunruhigende Züge an.

T 10: Auf wie vielen Tonnen Kleinstpartikel Lithium, Wolfram, Zinn, Silber, stehen wir wohl gerade?

T 11: Und lässt sich eine Halde überhaupt erkennen? Alles hier sieht einfach schön, grün und ländlich aus!

T 9: Der Umgang mit Abraum stellt schon immer ein Dilemma dar: Wohin damit? Die Bergwerke konnten sich nur zum Teil auf Abnehmer aus der Bauindustrie verlassen; das Gros wurde nach der Wäsche aufgeschüttet, und genau diese Praxis ließ in der Hügellandschaft des Erzgebirges eine „überlagerte“ Topographie entstehen. Mit etwas Übung ist es einfach, die geologisch gebildeten Erhebungen und Täler von Halden zu unterscheiden. Letztere decken kleinere Flächen ab, füllen so zu sagen Zwischenräume; außerdem sind sie nicht mit Wald bewachsen, da die Bäume ihr Substrat nicht mögen. Durch die Ablagerung wurden tatsächlich alle Böden biologisch aus dem Gleichgewicht gebracht, was Flora und Fauna zum Teil erhebliche Anpassungen abverlangt hat; aber sie hatte speziell problematische Folgen bei jenem Abraum, der zwecks Erzgewinnung chemisch behandelt worden war. Rechnen wir die ohnehin hohe chemische Kontamination der Wasserläufe—ebenfalls im Zusammenhang mit dem Bergbau—und die der Felder—durch die industriell betriebene Landwirtschaft in den Nachkriegsjahren—hinzu, so könnt ihr nachvollziehen, dass dieses Gebiet vor 30 Jahren, als das Bergwerk in Altenberg endlich geschlossen wurde, völlig beeinträchtigt war. Da unten, die Spülkippe… die war damals wegen Hämatitkonzentrationen von rund 4% ein rotes totes Meer. Die Biela führte ebenfalls Eisen und andere Schwermetalle im Wasser. Allerdings: Die Natur kann sich von so etwas erholen. Das ist, was mich persönlich fasziniert. In den vergangenen Jahren ist hier ein Lebensraum nicht nur für Birken, Salweiden und Fichten sondern für diverse Neophyten und Flora-Fauna-Interaktionen mit seltsamen, unerwarteten Effekten entstanden. Hier oben, auf dem Spülkippendamm, überwintern Kröten— #Extraction #Landscape #Sustainability #Water Der Botaniker Wilfried Richter zur natürlichen Begrünung der erzgebirgischen Bergwerkshalden

T 12: Und dies ist der grünen Fee, die bekanntlich das gesamte Bielatal schützt,6 genauso zu verdanken wie den kleinen, unauffälligen, großenteils unterirdisch operierenden Pilzen, oder?

T 9: Das haben wir nicht untersucht, aber es liegt nahe!

T 10: Manchmal ist eine fehlende oder mangelnde Intervention durch den Menschen, vielleicht auch eine geringe menschliche Bevölkerungsdichte, für nicht-menschliche Bevölkerungen zu wünschen. Es eröffnen sich dann fast von selbst Erholungsmöglichkeiten, Räume des symbiotischen Experimentierens.

T 12: Vielleicht ist dies ein zu optimistischer Gedanke in Zeiten schrecklicher und irreparabler Zerstörungen… aber lehren diese Landschaften, die aus Plottifizierung, Monokultur, Extraktion, hervorgehen, nicht genau, dass die künftigen politischen Bewegungen menschliche und nicht-menschliche Aktionen vereinen sollten? #Cohabitation #Extraction #“Green” future #Landscape #Renaturing #Water Wissenschaftler*innen und Künstler*innen um Anna L. Tsing beschreiben Ökologien, die sich außerhalb der menschlichen Kontrolle entwickeln und ausbreiten

3. Vor Muldenhütten

T 5: ...Muldenhüttens historische Anlage—mit Hütten, Graben und Halde—wäre ohne die Entwicklung des wissenschaftlichen Bergbaus in Freiberg nie zustande gekommen. An der Bergakademie wurde wichtiges Wissen für den Bergbau zusammengetragen und erweitert: zum einen Wissen über Ablagerungstechniken und die chemisch-physikalische Verarbeitung der verschiedenen Erze, zum anderen wurden die Disziplinen der Wasser- und Forstwirtschaft gegründet. Das wiederum hatte damit zu tun, dass die ökologischen Reproduktionskapazitäten durch die Jahrhunderte Erzförderung völlig ausgereizt waren; die sächsischen Regierenden mussten zusehen, dass sie etwas für die Grundlagen ihres Reichtums tun—

T 3: Dieses Wissen hat weit über Sachsen hinaus technologischen Fortschritt und im Laufe der Zeit, eine globale Industrie befördert. Kolonialländern und -herren diente es dazu, Ressourcen in Gebieten zu erschließen und zu extrahieren, deren soziale, wirtschaftliche, ökologische sowie kulturelle Grundlagen später schwer beschädigt zurückgelassen wurden. Und im dekolonisierten Alter wird von Politikern und vielen Menschen, selbst in diesen Gebieten, meistens kritik- und fraglos angenommen, dass dieses an technischen Unis, Think-Tanks und Start-Ups geschöpfte Wissen überlebenswichtig ist. Das ist das Verwunderlichste.

T 14: Du drückst dich fast zu nett aus, wir sprechen von einem völlig perversen Wissenschafts- und Technikglauben! Solches Wissen, und das Bergbau-Wissen in besonderem Maße, hatte noch nie die Ökologie im Visier. Auch heute begründet es bloß Rehabilitations-, Renaturierungs- und Rückgewinnungsprogramme, den Handel mit grünen Anleihen, und die dubiösesten Aufforstungsgeschäfte. Übrigens finden diese Operationen mittlerweile nicht nur in den ehemals kolonisierten Ländern statt, sie gehören auch auf Europas Territorium zur Routine.

T 15: In Deutschland wird das am Bundes-Immissionsschutzgesetz deutlich. Es ist nicht zuletzt diesem Gesetz zu verdanken, dass in Brandenburg Stücke von Wald für den Bau der Tesla-Gigafactory problemlos gerodet werden durften: Elon Musk musste sich nur dazu verpflichten, an anderer Stelle eine ebenso große Fläche aufzuforsten—

T 10: Wald weg hier, Wald hin dort, wie im Computerspiel.

T 7: Extraktivismus ist nicht bloß eine kolonialistische Logik. Er ist eine Strategie mit planetarischen Auswirkungen, und zwar eine Strategie des paradoxen Akkumulierens. Ein paar Leute bzw. Konzerne akkumulieren blind Mineralien und Gewinne—was für andere tagtägliche Enteignung, Ausgrenzung, erzwungene Migration bedeutet und für die Umwelt die verschiedensten Schäden zur Folge hat—und was entsteht dabei? Es akkumuliert sich eine ganze Menge Müll: Abraum, Verschmutzung, Kontamination, die alsbald unverwaltbar werden.

T 8: Es ist vielleicht dieses Akkumulations-Paradox, das die Landschaft so unheimlich macht. Haben Halden wie diese hier, auf der wir gerade gehen, nicht etwas Unheimliches an sich?

T 17: Sie ist unheimlich, aber auch absurd... absurd, meine ich, wie die Bezeichnung „taubes Gestein”. Es heißt, in den Halden liegt taubes Gestein begraben, dabei steht „taub“ für unnütz, wertlos. Doch ist dieser „Abfall“ in der Geschichte des Bergbau mit seinen Zyklen der Auf- und Abwertung immer wieder von Neuem nachgelesen worden. Unser Sinn für die verschiedenen Zeitlichkeiten, aber auch für die Wandelbarkeit, der Ökologie samt ihrer Zusammenhänge ist definitiv zu gering ausgeprägt. So denken wir zu kurz und orientieren uns an einer Wissenschaft, die lediglich technologische Lösungen für Probleme verspricht, die weit komplexer sind.

T 18: Hmm, was heißt „wir“ und was heißt „Wissenschaft“ hier? Der Wissenschaftsbetrieb ist weiterhin westlich und männlich, das heißt, von westlichen und männlichen Macht- und Denkstrukturen dominiert. Dazu verwickeln finanzielle Abhängigkeiten und institutionelle Zwänge viele Forschende in Regimes, welche die vermeintlich freie wissenschaftliche Erkenntnis hinter die Teleologie der herrschenden Klasse stellen, und die „wertneutrale“ Technik der ungestörten Selbstverwertung des Kapitals dienlich machen —

T 15: Nichts anderes verkörpert Elon Musk, der in Lithium-Ionen-Batterien und RNA-Impfstoffen investiert, während er gleichzeitig—für den Fall eines Scheiterns—die Erforschung des Mars für künftige Kolonisierung sponsert.

T 19: Auch mit seinem SpaceX wird sich nicht jede* mobil machen können: Die Ausschlüsse werden reproduziert. Dieser im Tiefsten hoffnungslosen und desillusionierten, traurigen Wissenschaft stehen allerdings schon jetzt andere Wissensformen und Technologien gegenüber… wir brauchen viele Imaginationen, viele teilbare, vergemeinschaftbare Ideen—und wir sollen diese besser zirkulieren, wenn wir wollen, dass sie eine Chance haben!8
#Cohabitation #Feminism Donna Haraway für eine feministische Wissenschaft, die über die geschlossenen Modelle biologischen und gesellschaftlichen Zusammenlebens hinausgeht

"Flammenfärbung", Maryam Katan, Video, 19:02 min.

Die Flammenfärbung ist ein chemisches Verfahren, mit dem das Vorhandensein von Elementen im Gestein nachgewiesen werden kann. Die Farbe der Flamme kennzeichnet jeweils ein bestimmtes Element: Die Flammenfarbe von Lithium zum Beispiel ist karminrot. Die Bandbreite der unter diesen Bedingungen positiv nachweisbaren Elemente ist gering, da der Test auf der subjektiven Erfahrung des Durchführenden und nicht auf objektiven Messungen beruht.

1. Zu Energy Harvesting und der Frage, was es mit (Nikola) Tesla zu tun hat, siehe: https://medium.com/supplyframe-hardware/nikola-tesla-early-energy-harvesting-6f40a73733cb


2. ‘Lichens are “extremophiles,” organisms able to live, from our point of view, in other worlds. … their ability to survive many different types of extreme qualify them as “polyextremophiles.” In the hottest, driest parts of the world’s deserts, you’ll find lichens prospering as crusts on the scorched ground. Lichens play a critical ecological role in these environments, stabilizing the sandy surface of deserts, reducing dust storms, and preventing further desertification. Some lichens grow inside cracks or pores within solid rock’. Merlin Sheldrake, Entangled Life. How Fungi Make Our Worlds, Change Our Minds and Shape Our Futures. London: The Bodley Head (2020); 95.


3. ‘Der Aschergraben [wurde bereits 1452–1458] als künstlicher Graben angelegt, um den Pochwäschen sowohl Wasser aus den niederschlags- und moorreichen Kammlagen des Osterzgebirges sowie aus angeschnittenen Bächen zuzuführen. Damit ist der Aschergraben eine der ältesten erhaltenen Anlagen der bergmännischen Wasserwirtschaft im Erzgebirge und zugleich ein bedeutender Sachzeuge aus der Frühzeit des Altenberger Bergbaus’. Wikipedia-Eintrag, Aschergraben.


4. ‘Der im 16. Jahrhundert einsetzende Aufschwung des Bergbaus … erforderte eine Erweiterung der Wasserversorgung. Vor diesem Hintergrund wurden um 1545 der Große Galgenteich und der Kleine Galgenteich als Wasserspeicher angelegt. Die Hauptzuflüsse der Galgenteiche stellten der in den 1550er Jahren angelegte Quer- und Neugraben dar’. Wikipedia-Eintrag, Quergraben.


5. https://www.montanregion-erzgebirge.de/welterbe-entdecken/bestandteile.html


6. https://osterzgebirge.org/de/startseite/


7. Vgl. Tim Ingold, Lines. A brief history: https://taskscape.files.wordpress.com/2011/03/lines-a-brief-history.pdf


8. Vgl. zum Beispiel: https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSfl_OW5eY_lZNABezGBhsbL3fy2xPOSpB0qwifkjnkA0B6y1A/viewform?pli=1


Mit: Tour participants, Helmuth Albrecht (TU Bergakademie Freiberg), Ana Alenso, Aurora Castillo, Oscar Choque (Ayni, Verein für Ressourcengerechtigkeit e.V.), Maryam Katan, Andrea Riedel (Stadt- und Bergbaumuseum Freiberg), Jens Weber (Grüne Liga Osterzgebirge e.V.), The Driving Factor.